Eberhard Arnold

Versammlungsprotokoll, 4. Mai 1934

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - T.S.H.]

EA 225a

Gemeindestunde am 4. Mai 1934. Das Evangelium vom Reich

Es ist uns tief klar geworden, was uns fehlt, wenn wir uns schwach fühlen in dem, was uns aufgetragen ist, es ist die Liebe Christi, die uns ins Herz gegossen wird durch den heiligen Geist. Diese Liebe ist kein unklarer menschlicher Gedanke, kein unklares menschliches Gefühl, keine unklare Willensrichtung. Die Liebe Jesu ist vollkommen klar in Seinem Leben. Auf die Jerusalemer Urgemeinde war die Kraft des Lebens Jesu ausgegossen, die in Seinem Tod und in Seiner Auferstehung besiegelt war, durch den heiligen Geist. Von diesem Geist ist vorher gesagt, er werde erinnern an die Worte Jesu und er werde sein Leben in ein klares Licht stellen und er werde die Zukunft offenbaren und die Welt überführen in Beziehung auf Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Die Sünde wurde offenbar als nicht glauben an Jesus. Die Gerechtigkeit wurde offenbar durch den heiligen Geist, durch die Tatsache, dass Jesus den Thron Gottes eingenommen hat und die Herrschaft des ewigen Reiches bringt. Das Gericht wurde offenbar, dass der Fürst dieser Welt, der Zeitgeist, der alle Völker beherrscht, der Machtgeist, der ein Lügner und Mörder von Anfang an genannt ist, gerichtet ist durch die Liebe Jesu Christi. Nicht durch eine gewaltige Machttat des Gottessohnes, sondern dadurch, dass Jesus offenbart wurde als der Beste, der Liebendste in seinem Leben und Sterben. Wer auf seine Seite tritt, ist frei vom Erdgeist, der gerichtet ist. Wer diesem folgen will, ist der Falschheit, der Lüge, der Untreue verfallen und ist mit gerichtet. Wer Jesus folgt, hat die Zerstörung, die Teufelswerke nicht

- - -

angenommen.

Überall, wo die Gemeinde Jesu wirklich ist, herrscht der heilige Geist als Offenbarung Jesu Christi und erschließt die Zukunft Jesu. Das alles und mehr ist offenbar geworden durch die Ausgießung des Geistes. Aber durch alles im Leben Jesu ist das auch schon klar. Das Tun Jesu hat wie sein Wort die völlige Liebe offenbart. Zunächst erscheint es, dass Jesus die völlige Liebe zu Gott ist. Aus dieser war alles geboren, was er tat. Deshalb schloss er sich der Johannestaufe an und weihte sich dem Tod und rief danach aus: Gottes Reich ist nahe! Vorher noch ist die Liebe zu Gott sieghaft geworden in der dreifachen Versuchung. Der Versucher, der Geist der Erde, der Fürst der Welt, hatte ihn aufgefordert, alle Weltthrone einzunehmen, wenn er sich verbände mit dem Geist der Lüge, der Unreinheit. Derselbe Versucher stellte an ihn die Aufforderung, er solle seine eigene Größe proklamieren, indem er sich manifestierte in gewaltiger Überlegenheit über die Naturgesetze. Er sollte triumphieren über das Gesetz der Schwere vor allem Volk als Gottessohn. Und als demagogische Waffe sollte ihm reichlich Brot für das Volk in die Hand gegeben werden. Jesus aber liebte Gott seinen Vater mehr als alles. Nicht in der Herrschaft des Reichs, nicht in der Gewinnung der Menschheit an und für sich, allein in der Kraft der Liebe zu Gott schlug er den Satan aus dem Feld und lebte das Reich Gottes: Hebe dich hinweg, Satan! Du sollst Gott allein dienen! Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem zündenden Wort aus dem liebenden Herzen Gottes! Dieses Wort sollte er verkünden! Um Gott geht es, er allein soll herrschen, darauf bereitet euch! Es sind gewaltige Ereignisse in der

- - -

Menschheitsgeschichte, aber keins reicht von ferne an das Kommen Gottes. Geschichte ist erst, wenn Gottes Reich kommt, erst dann geschieht etwas. Das ist das Entscheidende: Liebt ihn! Ändert euch und euer Leben! Alles muss umstürzen! Denkt um! Glaubt an die Freudennachricht: Gott ist nah! Tut Buße! Glaubt an das Evangelium! Dieses Evangelium verkündete Jesus nicht nur in Gleichnissen, sondern in klaren bestimmtesten Worten vertrat er, was es bedeutet: Gott kommt, seine Herrschaft naht! So berichtet es das Johannes-Evangelium von Nikodemus: Der Mensch muss so erneuert werden, dass er wie ein Kind ganz von vorn beginnt, er muss direkt neu geboren werden. Ein ganz neuer Anfang muss gemacht werden. Die Neugeburt hat ihren Sinn allein als Neugeburt für das Reich Gottes. Ohne Neugeburt ist nicht darein zu kommen! Es geht allein um das Reich Gottes!

Bei Matthäus ist der Charakter des Neuanfangs geschildert. Die Bergpredigt zeigt, wie das neue Leben der Wiedergeburt eine Gerechtigkeit bringt, ein gut sein, das nicht zu vergleichen ist mit aller Moral und Theologie, das besser ist als alles, was je gesagt und gedacht ist. Diese neue Gerechtigkeit ist die Wirkung Gottes, die Ausgießung seines Geistes, die Wesenhaftigkeit des kommenden Lichtes, die Salzigkeit des Salzes, sie ist Wesen und Kraft, lebendigstes Leben, freie Bewegung. Diese neue Gerechtigkeit ist das aus Gott geborene Leben. Der Mensch muss bettelarm werden, um dazu zu kommen. Er muss erst das Leid der Welt auf sich nehmen, den Frieden begehren in der Friedlosigkeit, er muss nach Güte und Liebe verlangen,

- - -

opferbereit sein bis zum Tode, dann wird er das Herz Gottes erkennen und erleben, dann wird er Gott selbst finden, wenn er für seine Gerechtigkeit und sein Reich den Tod erleiden will. Das ist die Eröffnung der Erkenntnis des Gottesreichs. Hier werden die Feinde geliebt, aus Liebe letzter Besitz hingegeben, Gewalt nicht mit Gewalt vergolten, hier ist Treue und Reinheit: das ist die bessere Gerechtigkeit, die Offenbarung der besseren, völligeren Liebe, die Offenbarung der ewigen Treue in der Liebe. Ihr sollt in eurer Art vollkommen sein, wie der Vater, es gibt keine andere Vollkommenheit als die der Liebe. Deshalb werdet euch klar, was diese Liebe vereitelt! Eigentum und Sorge! Wo Vermögen angehäuft wird, während die Mitmenschen hungern und frieren, da ist keine Liebe. Darum sammelt euch kein Vermögen. Auch die Sorgenden bauen ihre Existenz auf das Vermögen. Weg mit ihr! Sorget nicht! Schaut Vögel und Blumen, glaubt doch an den liebenden Gott, den Vater, der euch alles beschert! Ihr braucht das ungeteilte Herz, ein Auge, das allein auf Gott konzentriert ist. Das Herz ist gleich einem inneren Auge. Es muss sich konzentrieren auf seinen Gegenstand. Im Herzen müsst ihr den ungeteilten konzentrierten Blick für Gott allein haben, dann habt ihr kein Vermögen, keine Sorge. Hier erfasst ihr: Die Anrufung Gottes ist das Vertrauen auf die Liebe, das Erflehen seiner Herrschaft, das Tun seines Willens, die Heiligung seines Namens, so ist sie das tägliche Brot. So seid ihr befreit aus dem Bösen und aus der Versuchung. So ruft zu Gott. Richtet die Menschen nicht, liebt sie. Aber ihr dürft das Heiligste in euren Herzen nicht preisgeben für

- - -

Menschen, die dafür nicht reif sind. Aber richtet sie auch nicht, denn das ist die Sünde gegen die Liebe zu Gott und den Menschen. Gottes Liebe ist größer als euer Urteil. Gott allein kennt das Herz des Schuldigen bis ins Innerste. Handelt mit ihnen, wie ihr es auch für euch wünscht. Ihr möchtet, dass Gott euch versorgt. Was ihr für euch erwartet, das tut an allen Menschen, ohne Ausnahme. Ihr dürft die Guttat eurer Liebe nicht beschränken. Gott liebt ja alle Menschen, wie sie auch sind. Die Wahrheit der tätigen Liebe, das ist die enge Pforte, der Eingang ins Reich Gottes, die Wirklichkeit eures Lebens allein. Liebt die Menschen so, wie ihr euch selbst liebt, weil ihr Gott liebt. Ihr sorgt für euch, für Leib, Seele und Geist. Eben dasselbe müsst ihr den Menschen erweisen, nur dann kennt ihr die Pforte zum Reich Gottes. Und wenn ihr nur ganz wenige Seid, geht doch ihr den Weg! Störende Geister und Mächte werden auftreten. Erkennt die falschen Propheten an ihren Taten, ihrer Raubtiernatur! Den wahren Propheten erkennt man am Wesen der Liebe: sein Leben zu lassen für die geliebten Brüder! An der Lammesnatur.

Jesus enthüllte, was der Charakter des neuen Lebensweges und –baues ist, der nicht stürzen kann. So verkündete er die Wahrheit überall.

Bald hatte sich eine gewaltige Feindschaft erhoben. Die hinterlistige Klugheit seiner Gegner mit ihrer einfangenden Theologie brachte es dahin, dass Jesus nach der Aussendung sich entschloss, sich auf Gleichnisse zurückzuziehen. Sie sollten den Zudringlichen, Frechen die Wahrheit verhüllen, die nur hören wollten, um zu widerlegen. Den aufgeschlossenen Herzen hat

- - -

er das ganze Geheimnis des Gottesreiches erschlossen. Der letzte Sinn seiner Reichsgottesbotschaft wird offenbar in den Gleichnissen von der Hochzeit und vom Abendmahl als das Zeichen der Gemeinschaft Vieler in der Teilung des von Gott Anvertrauten. So ist das Himmelreich verglichen mit der Hochzeit und dem Abendmahl. Das Reich Gottes besteht in der Tätigkeit. Deshalb der Vergleich mit den Arbeitern im Weinberg. Es kommt auf den an, der ja tut, auch wenn er nein sagt. Auf die Aussaat kommt es an, die gesät werden muss, um unter dem Himmelssegen anzuwachsen. Auf den Sämann kommt es an. Nur durch die letzte Bereitschaft ist das Reich der Liebe, der Vereinigung, der Arbeit zu gewinnen. Die neuen Inhalte des neuen Reiches sind nicht zusammenzuflicken mit dem alten Gewand des alten Reichs. Alles muss weggeben werden für das einzige Juwel des Reiches Gottes. Alles zu verkaufen und zu verlassen, das ist der einzige Weg zum Reich Gottes. Dieses Reich Gottes ist zunächst wie der Sauerteig im Brot hineingewirkt in das ganze Leben der Menschen wie ein Saatkorn. Aber es wächst und gewinnt im Wachsen die Bedeutung, dass es ein Baum wird und unter ihm alles wachsen kann.

Wenn auch der Feind seine nachgeahmten Gewächse, sein Unkraut zwischen die reine Saat streut, wendet keine Gewalt an, beides muss wachsen bis zur Ernte.

Diesem Reich entsprechend muss der Charakter des Reichsgenossen klar sein: Stark wie Fels und Baum, fruchtbar, wie ein früchtetragender Baum. Es ist der Charakter der Liebe und Freude, wie es gezeigt wird am Festmahl und m Hochzeitsgewand. Es ist

- - -

der Charakter der inneren Bereitschaft, wie es an dem Gleichnis der Jungfrauen gezeigt ist. Es muss der zähe Charakter des anhaltenden Beharrens sein; es muss ein treuer wachsamer Charakter sein (Gleichnis des treuen Haushalters und Knechtes); es ist der Charakter der tätig beharrlichen Liebe. Diese ist nicht da, wo man seinem eigenen Wohlleben huldigt (Gleichnis vom reichen Mann). Dieser Charakter ist vor allem der eines demütigen Herzens, frei von allem Eigenwesen, wie es der im Tempel hatte, der ausrief: Gott sei mir Sünder gnädig! Der Charakter der Reichsgenossen ist das Herz, das das verirrte Schaf sucht, das den verlorenen Sohn aufnimmt in die Hausgemeinschaft, das die Menschen sucht, damit sie in die Gemeinschaft Gottes gebracht werden, ehe die Tür verschlossen ist. Hier ist die wahre Herde, die wahre Hürde, der wahre Hirt, die wahre Weide. Hier ist wirkliche Gemeinschaft. Die Liebe zum Einzelnen und zum Ganzen, das ist die Liebe zu Gott. Das ganze Geheimnis gleicht einer Pflanzung. Die organische Einheit gleicht einem Weinstock. Die Einzelnen sind die Zweige, das ganze Weinstock ist Christus selbst und sein heiliger Geist.

Christus hat zuletzt seine Wahrheit nochmals zusammengefasst im scharfen Gegensatz zur falschen Prophetie. Seine Liebe lehnt das Böse bis ins letzte ab und bekämpft es. Er ruft das siebenfache Wehe aus und verkündigt die Katastrophe des Gerichtes Gottes über alles Abgefallene. Als Feind der Menschen, des besten Staates, der besten Kirche wird er wegen dieser Worte hingerichtet. Alles, was er sagte, hat er getan. Sein Leben ist das Tun der Liebe, vor allem die Samm-

- - -

lung seiner 12 und seiner 70 und deren Aussendung. Hier bewies er seine Tragfähigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit, wie er mit diesen zusammenhielt im völlig gemeinsamen Leben und in der Unterweisung, wie er seine Schüler lehrte. Die Evangelien sind geschrieben aus dem täglichen Unterricht Jesu. Wo er alles immer wieder erzählte und beleuchtete, wie es am Ende des Johannes-Evangeliums gesagt ist, dass Jesus noch viele andere Dinge getan hat, wenn sie aber alle eins nach dem anderen aufgeschrieben werden sollten, würde die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.

Was er tat im Kreis der Jünger und der Begleitschaft war der Erweis der Liebe an Leib, Seele und Geist nach der Maßgabe ihrer Bereitschaft. An seinem Tun sollte sich erweisen, was das sein wird, wenn das Reich Gottes kommt! Teufelsaustreibung und Herrschaft des Reiches Gottes und Krankenheilung, das alles hängt zusammen mit der Besiegung des Todesgeistes: Jesus heilte von Aussatz und Ausschlag; er heilte Blinde, reinigte von Frauenleiden, heilte Gelähmte, half dem abgestorbenen Arm, befreite von Fieber, machte Taubstumme redend und hörend, richtete die verkrümmte Frau auf, erweckte Tote, die schon in Verwesung übergegangen waren, - an Lazarus, dem Jungen zu Nain und dem Töchterchen des Jairus erzeigte sich die Totenerweckung - . Gleichzeitig hat er an der Herrschaft über die Elemente gezeigt, wie er die Liebe Gottes beweisen müsste: Er speiste die Viertausend und die Fünftausend, stillte den Sturm, verwandelte Wasser in Wein als Zeichen seiner Liebe und Mitfreude. An all dem Vielen, das er vollbrachte, zeigte er, dass die

- - -

äußere Heilung Symbol und Zeichen ist für das Größere, Entscheidende: ein Hinweis wie die Liebe Gottes am Ende der Tage auch den Leibern alles erweisen wird, was der Liebe entspricht. Auch die Materie ist nicht ausgenommen vom Reich Gottes und seiner Herrschaft. Zugleich ist die Liebe Gottes dem inneren Leben zugewandt, dass die Seele zubereitet wird auf das Reich Gottes. Gehe hin und tue das Böse nicht mehr. Jesus hat die Vollmacht der Vergebung erwiesen in der Heilung des Äußeren und Inneren. Vergebung ist Heilung, Wegnehmen, sodass das Böse und die Krankheit nicht mehr da ist. Die Heilung ist das Symbol der Vergebung, das Zeichen, dass die Gewalt des Bösen weggeräumt ist, wenn Jesus kommt. Deshalb musste die Auferstehung an den Toten erwiesen werden. Gott musste als unbesiegbares Leben erwiesen werden. Der Tod ist der letzte Feind, er muss überwunden werden, wenn Gott herrschen soll. Gott ist Leben, weil Gott die Liebe ist. Gott ist die Liebe, weil er das Leben ist. So ist er Auferstehung! So ist Jesus wieder aufgestanden von den Toten und als der Lebendige offenbar geworden. Er ist gegenwärtig in der Ausgießung des heiligen Geistes. Das Erlebnis der Geistesausgießung ist die Erfüllung des Wortes: Ich bin bei euch alle Tage! Der König des Reiches ist der Geist. Der König des Gottesreiches und der Geist der Gemeinde sind eins. Jesus ist anwesend in seiner ganzen Vollmacht, wo der heilige Geist der Liebe wirkt. Das ist die Gewissheit des Evangeliums.